Lange hab‘ ich ihn vor mir hergeschoben. Den Start meiner Serie über unvergessliche Begegnungen, Erlebnisse, ebensolche Menschen. Teils werden „Promis“ in diesem Blog eine Rolle spielen, teils echte Abenteuer sowie Frauen und Männer, die mein (Journalisten-)Leben bereicherten und bis heute bereichern. Ja selbst Dinge. Meist sind es interessante, schöne und hoffentlich unterhaltsame Aufeinandertreffen. Doch es werden auch ein paar unschöne darunter sein. Einige beschränken sich auch „nur“ auf lange, lange Telefonate – in der Medienbranche „Phoner“ genannt. Einfach überraschen lassen.
Meine Freundin, Iris, sagt immer wieder zu mir: „Werner, schreib‘ doch ein Buch. …“ Nur zweifele ich am Erfolg wie an lukrativen Verkaufszahlen. Zudem: Dafür hab‘ ich kein Sitzfleisch. Null, für ein Buch und dessen viele, viele Kapitel. Als Reporter bin ich es gewohnt, die Dinge zügig niederzuschreiben, abzudrehen und möglichst am gleichen, spätestens am nächsten Tag zu veröffentlichen.
Im digitalen Zeitalter inzwischen ja eine Selbstverständlichkeit. Doch ich bin und bleibe Freund des Mottos „Sorgfalt vor Schnelligkeit“. Was mit echter und gründlicher Recherche, somit mit etwas Zeit(aufwand) und insbesondere einem Wahrheitsgehalt verbunden ist. Belegbar. Eins ist garantiert: Alle Erzählungen sind Erlebtes. Ich bin kein Märchenonkel, lach. Über drei Jahrzehnte Werners Berufs- & privates Leben. Alles ist wahr.
Den Start der Serie „Unvergesslich“ macht Ozzy. Eingefleischten Rock- und wahren Metalfans reicht sein unverkennbarer Spitzname. Für alle anderen der vollständige Name des Briten: John Michael „Ozzy“ Osbourne. Ältere kennen ihn als Leadsänger der legendären Band Black Sabbath. Jüngere eher dank der MTV-Familien-Serie „The Osbournes“. Vielleicht macht ihn seine Lese- und Rechtschreibschwäche zum Mann für meine Blog-Premiere hier. Oder sein ebenfalls steiniger Lebensweg zum Ruhm. Ozzy hält sich ab seinem 15. Lebensjahr mit Jobs wie Klempner, Maler und Schlachter über Wasser. Und wie meine Freundin arbeitet(e) er in einem Bestattungsinstitut. Das Geld reicht nie. Er wird zum Dieb, Einbrecher, wandert in den Knast. Später, 1969 bis 1979, ist er Kopf und Sänger von Black Sabbath.
Wegen seiner Drogenprobleme fliegt er aus der Band, damals lebt der Engländer bereits in Los Angeles. Seine Frau Sharon rettet ihm nicht nur den Arsch, dank dem Begleichen vieler Schulden, sie rettet dem Drogen- und Alkoholabhängigen (Alk, eigentlich ja auch eine Droge, grins, eine Volksdroge) das Leben. Mehrmals. Und sie schenkt ihm, der inzwischen solo Karriere macht, Sohn Jack und Tochter Kelly. Sie alle sind in den fünf TV-Staffeln ihrer Doku-Soap von 2002 bis 2005 auf MTV zu sehen. Und damit sind wir am springenden Punkt. Bei unserem Aufeinandertreffen.
4. November 2005. Ich bin mit meiner damaligen Freundin an der US-Westküste unterwegs. Wir erreichen ein Hotel inmitten des Yosemite-Nationalparks. Rechts von uns ein TV-Team und Sharon mit ihren Kindern mit Helm und in Klettermontur bei Dreharbeiten. Kein Stopp, sondern Weiterfahrt zum Parkplatz. Und da schlägt dann „Kommissar Zufall“ erneut zu. Wieder rechts von uns.
Ozzy kommt aus der Hoteltüre. Neben ihm ein Baum von Mann. Sein Bodyguard. Während Mister Black Sabbath in unsere Richtung schlurft – gehen ist das jedenfalls nicht –, isst er Kekse. Na ja, essen ist das eigentlich auch nicht. Eher der Versuch. Wie beim Krümelmonster der „Sesamstraße“ fallen fast mehr Krümel aus seinem Mund als in ihm bleiben. Die beiden Männer beachten uns nicht. Doch ich fahre nun direkt neben Ozzy und lass‘ über die Automatik die Scheibe der Fahrertür runter. Sein Beschützer wird sichtlich nervös. Jedoch habe ich den passenden Schlüssel zum Schloss: „Ozzy, hello. Grüße von Lemmy.“ Natürlich in seiner Landessprache. Pause. Total überrascht bleibt das etwas andere Krümelmonster stehen. Er gibt seinem Aufpasser das sonnenklare Signal: „Das hier gerade geht okay.“ Dann will der Rocker mit runder, dunkler Brille mehr wissen. Wir Reisende steigen aus. Meine blonde Freundin hat keine Ahnung, wem sie da gerade gegenübersteht. Sie hat null Plan – mir total egal. Aber so was von, schmunzel.
„Ich war bei Lemmy daheim“, so ich. „Wir haben am Sunset inmitten L. A. die ganze Nacht geredet, getrunken und alte Videos angeschaut. …“ Dann beschreibe ich Lemmys Bruchbude um die Ecke des „Rainbow“ beim Sunset Boulevard. Oooh, Ozzy kennt sie gut. Das Mini-Appartement der Motörhead-Legende mit seinen zwei riesigen Kühlschränken voller Alk. Wir unterhalten uns über die Freundschaft der beiden irren Briten. Der Bodyguard steht entspannt daneben – meine Freundin wirkt gelangweilt. „Ozzy, Lemmy hat einen von Hand geschriebenen Brief von Dir, eingerahmt in seinem Wohnzimmer an der Wand. …. Er sagte mir voller Stolz: „… Signed with blood! …“ – unterschrieben mit Blut. Ozzy lacht laut und schallend los. Krümel schießen aus seinem Mund. Als er sich gefangen hat, entgegnet er mit rauchiger Stimme. Er hat offenbar heute wohl noch nicht viel gesprochen. „It‘s only red colour! …“ – Es ist nur rote Farbe. Tja, wer hätte das gedacht. Ich werde Lemmy das nicht erzählen. Habe es bei keinem unserer Treffen jemals erwähnt, ihm das niemals erzählt. Lemmy nahm seine liebenswerte Geschichte und seinen Stolz mit ins Grab. RiP, Lemmy.
Ozzy und wir stehen noch einige Minuten beisammen. Dann ist auch gut. Noch schnell zwei Fotos mit der Digitalkamera. Eins mit mir und eins mit meiner Freundin. Ozzy nimmt sie in den Arm und er legt sein schönstes Sonntagslächeln auf. Tja, der Charme, die Macht der hübschen, scharfen Blondinen. Dann gehen die zwei Männer weiter und wir machen uns ebenfalls auf den Weg durch den Nationalpark. Nette, kurze, unverhoffte, unvergessliche Parkplatzbegegnung. Aufschlussreich für Ozzy und für mich dazu, lach.
Viele, viele Jahre später sitze ich mit einem Kumpel in der Mannheimer „SAP-Arena“ und freue mich darauf, Ozzy erstmals „Live in Concert“ zu erleben. Die Vorband tritt von der Bühne. Der Umbau für den Topact zieht sich. Und zieht sich und zieht sich. Dann die böse Überraschung: Ozzys Frau Sharon wurde angeblich in Los Angeles ins Krankenhaus eingeliefert und er sei daraufhin hinter der Bühne auf Grund der schlechten Nachricht zusammengebrochen. Das Konzert fällt aus. Große, große Sch…ße. Ich hatte mich auf diesen Auftritt sooo gefreut. Zumal das Konzert in Dortmund kurz zuvor der absolute Hammer gewesen sein muss: Ozzy in Bestform. Und nun: Satz mit x. Vor uns stehen zwei Fans auf und einer von beiden meint: „Das ist nun schon das sechste Mal, dass wir das erleben.“ Ihr Topact, Ozzy, er fällt aus.
Zeitsprung ins Hier & Jetzt: Vor wenigen Tagen kam die Nachricht, Ozzy wolle, da er auf Grund seiner Gesundheit nicht mehr reisen könne oder wolle, nie mehr eine Konzerttournee starten. Tja, einmal hab‘ ich ihn wenigstens live erlebt: im Yosemite-Nationalpark, 4. November 2005. Danke, „Kommissar Zufall“. Thanks Ozzy. Very much.
Fotos / Copyright: nejako.de
Text: WeHe