Unvergesslich: Vater, was für ein Leben

Mit dem zweiten Teil der Serie „Unvergesslich“ habe ich mir abermals viel, viel Zeit gelassen. Mehr als gedacht und gewünscht. Die Gründe: Meine Wahl und diese zentrale Frage. „Mensch Werner, passt das, Deinen Vater in diesen Kreis hier aufzunehmen?“ In die Reihe der „Promis“, in die Serie meiner Abenteuer, Erlebnisse, …, der unvergesslichen Begegnungen. Meine Zweifel: groß. Das Abwägen: schwer, sehr schwer. Doch nun sind die Würfel gefallen und damit Bühne frei für einen Mann, der ein Leben lebte, in welchem ich ein Teil war. Oft der unangenehme Stachel im Fleisch des eigenen Vaters.

Mein Vater, Jahrgang 1935, ein „ganz harter Hund“. Er war‘s. Zugleich ein enger wie scharfsinniger Geist. Ein sich selbst sowie andere stark eingrenzender Mann. Kleinkariert, jähzornig, sparsam, sorgenvoll und in unser dörfliches Gefüge zugleich über Jahrzehnte sozial vollkommen eingebunden. Gerhard hat viele Gesichter. Optisch attraktiv, hilfsbereit, liebevoll, sportlich, väterlich, zuvorkommend. Ein stattliches Mannsbild mit Anstand, Ehre, Moral, Haltung, Prinzipien, Stolz und klaren Werten. Und ab und zu: wahrhaft großmütig und -zügig. Ein angesehenes, beliebtes, geschätztes, vorbildliches, zugleich von einigen wenigen nur allzu gern auch belächeltes Dorfmitglied.

Seine Schattenseite hingegen: sehr, sehr dunkel. Seine „schlagenden“ Argumente verbreiten Angst und Schrecken – erst als junger Boxer, später in unserer fünfköpfigen Familie. Seine Hilflosigkeit, Sprach- und Ratlosigkeit, seine Sorgen und das offensichtlich Überfordertsein ertränkt er nicht im Alkohol, sondern in extremsten Ausbrüchen voller Wut und voller Zorn. Sein Ventil, sein „Notausgang“ wird patriarchisches, überhartes Auftreten. Was oft bei uns drei Brüdern zu Angst, zur Ohnmacht führt. Für mich als ältesten Sohn sehr verstörend. Die Streitereien und der Zwist zwischen Vater und unserer Mutter, Gabi. Mit den Jahren mehr und mehr. Doch zugleich erinnere ich mich an viele, viele tolle Erlebnisse und Geschichten. Unvergessliche.

Als „Ernährer“ & Familienoberhaupt dreht unser Vater jeden Pfennig und jede D-Mark zwei- und manchmal dreimal um. Unser Delikatessenhändler heißt „Aldi“. Das Tragen unserer Kleider und Schuhe, doch die seltener, weil Mutter lieber für uns alle in der Familie neues Schuhwerk wünscht, unter uns drei Brüdern immer weitergegeben, ist und wird Alltag. Das Abtragen. Auch die aufgenähten Lederherzen auf den durchgescheuerten oder zerrissenen Hosenknien. Und der Samstag vor „Daktari“ & Co.: Badetag. Mit dem Waschlappen vor den brennenden Augen beim Haarewaschen mit „Schauma“. Zuerst für uns drei echt wilden Orgelpfeifen, alle in einer Wanne, danach für unsere Eltern. Unser Vater ist immer am Schaffen. Am Haus, im Garten, bei der DB oder bei der Feuerwehr, im Sport- und Musikverein. Und er macht mit seinem Freund Erwin Teufel Musik auf Hochzeiten & Co.. An Samstagen bis in die Morgenstunden – des Geldes wegen.

Legendär, unvergesslich unsere Stadtbummel in der Vorweihnachtszeit. Weil unser Vater die elterlichen Nerven und den Geldbeutel schonen will, geht es sonntags in seinem Opel Kadett nach Neckarsulm und Heilbronn. Bevorzugt in den Abendstunden und für uns echte Landeier durch den stimmungsvollen großstädtischen Lichter- und Weihnachtszauber. Wir spazieren Hand in Hand oder wir Jungs rennen begeistert von Schaufenster zu Schaufenster. Alle Läden sind zu, uns Kindern ist das so was von egal. Die Wünsche ans Christkind liegen ja in den großen, bunten Auslagen. Mit Blick zurück: echt clever, Vater. Kein Kinderzerren zwischen den Regalen, stattdessen platte Nasen an den für uns Kinder unendlich verlockenden Schaufenstern. An Heiligabend finden sich die Geschenke neben Nüssen, Äpfeln, Mandarinen, … unterm Weihnachtsbaum; die erhofften, beim Bummel durch die Fußgängerzonen laut und leise ausgewählten – natürlich „nur“ die bezahlbaren.

Der Kracher, der Auftritt von Vater beim ersten Mc Donald‘s in der Heilbronner Fußgängerzone. Unser Gerhard hat an einem späten Nachmittag, nach langem Kinderkleiderkauf, seine Spendierhose an. Wir stehen alle vier, Vater und wir drei Söhne, vor der Fast Food-Theke und er bestellt „drei C-h-e-e-s-e-b-u-r-g-e-r“. Unser Spender spricht kein Englisch und bestellt natürlich so, wie alles auf der Tafel geschrieben steht. Vor Scham würde ich nur allzu gerne im Erdboden versinken. Zu spät. Was das für eine spendable Geste bei seinem schmalen Geldbeutel unterm Strich ist – und drei, nicht vier(!) –, erkenne ich erst viele, viele Jahre später.

Gerhard wirbelt nicht nur die Schlagzeugstöcke im Musikverein und bei Erwin in den langen, wichtigen Musiknächten, sondern auch als Kassierer. Für die 1.-Mai-Feste am Jagstufer im Dorf organisiert er zudem die Süßigkeiten. Eis, Kaugummis, Schokoriegel, Ahoi-Brause & Co. im Großhandel. In einer Holzbaracke direkt am Heilbronner Hafen. Als ich gefühlt so acht, neun Jahre alt bin, krönt er mich zu seinem Berater. Er überträgt mir die Auswahl der Süßigkeiten. Seinem Ältesten. Für mich der Hammer. Warum ich? Weil ich genau die Zielgruppe repräsentiere und somit bestens weiß, was gerade angesagt ist. Was sich auf dem Maifest unseres Untergriesheimer Musikvereins verkauft. Was bin ich stolz, wie Bolle, wenn „Brauner Bär“ sowie andere Eissorten auf die lange Bestellliste dank mir, dem kleinen Werner, kommen. Verschiedene „Mohrenköpfe“, auch mit Kokos, Brausestangen, „Liebesketten“, Cola-Lutscher, „PEZ“-Bonbon-Figuren, Erdnüsse, und, und, und.

Zu den unvergesslichen Erlebnissen gehören die gemeinsamen für mich als Kind unsere langen Vater-Sohn-Zugfahrten nach Ulm. In meinem kleinen, karierten Rucksack Vaters und meine Getränke und unsere belegten Weckchen (Brötchen) – mit Wurst und Käse, geschmiert von Mutter. Nach dem Einkauf der Noten und der Instrumente für den heimischen Musikverein noch der versprochene Besuch des Ulmer Münsters. Jedes Mal, wenn wir nach Ulm fahren, ein Höhepunkt im doppelten Wortsinn. Die Treppen bis zur letzten Stufe des Münsters hinauf. Was unterdrücke ich meine Höhenangst, die ich damals noch habe – heute ist sie zum Glück wie weggeblasen. Weil ich als Dreikäsehoch auch mit ganz, ganz nach oben will. Nicht, weil ich gezwungen werde. Nein, weil ich das will. Mit Vater und all den anderen um uns herum.

Unsere Urlaube im Süden & Norden: unvergesslich. Immer auf richtigen Bauernhöfen in Bayern oder in Ferienwohnungen. An- und Abreise mit dem Zug. In den Sechserabteilen mit den rotbraunen Polstern. In denen wir auch schlafen, wenn es mal durch die Nacht zu den Inseln an der Nord- oder Ostsee geht. Was haben wir Kinder und auch unsere Eltern für einen riesigen Spaß in diesen geräumigen Abteilen, bei den Wanderungen durch die Berge und Täler oder an den Stränden an der Nord- und Ostsee: Wangerooge, Usedom, … . Unsere vielen Deutschlandtouren und -urlaube, wahres Familienglück.

Die Grillfeste bei den Ummingers über die lauen Sommer zählen ebenfalls zum Familienglück. Bei Vaters Schwester Irmgard und unserem Onkel Waldemar, der das Leben weit mehr genießt als unser Familienoberhaupt. Gegrillter, krosser Schweinebauch, verschiedene Steaks, Würste und dazu hausgemachte Kartoffel- und Kopfsalate, aus dem eigenen Garten. Bier aus dem Fünf-Liter-Fässchen. Gezapft von mir, wenn ich brav bin. Es wird geleert und wir Kinder kriegen auch hin und wieder einen Schluck in den süßen Sprudel. Federball und Volksmusik. Spielen auf der Straße: kein Problem. Autos fahren selten – noch seltener an den Sonntagen.

Mein erstes Freibier dank trunkenem Vater vergesse ich ebenfalls niemals. Gerhard ist in Untergriesheim auch bei der Freiwilligen Feuerwehr. Wie lange im Kirchengemeinderat. Nach einer Übung tauchen die Männer zum Durstlöschen in „unserer“ Stammkneipe, einer früheren Autowerkstatt – jedoch zu meiner Jugend noch mit einer kleinen, offenen Tankstelle –, beim „Bier-Paule“ auf. Wir halbstarken Dorf- und Mofarocker flippern und kickern dort im kleinen verqualmten Nebenraum. Wie wir das Rauchen, Saufen und unser Zocken über all diese Jahre finanzieren, ist und bleibt unser Geheimnis. Besser ist das, schmunzel, wenn alles auch längst mehr als verjährt, schmunzel. Die Polizei ist jedenfalls nicht unser Freund und Helfer. Allein auf Grund unserer frisierten Mofas nicht. Keines ist langsamer als 60 Stundenkilometer. Keines. Mit dem 6,25er-Satz geht es auch mal an die 100 Stundenkilometer. Amtlich verbrieft und polizeilich belegt.

Plötzlich fliegt die Tür auf und mein Vater stapft mit einem anderen aus der Löschtruppe an uns vorbei aufs Männerklo. Schiffen. Wasser lassen. Er lacht und ist endlich einmal total entspannt. Unser Gerhard ist betrunken?!?! So habe ich ihn noch nie gesehen. Auch kein zweites Mal. Als er mich auf dem Rückweg sieht, lacht er mich herzhaft an und holt mich zu sich. „Was willst Du trinken?“, will er wissen. Ich kann’s nicht glauben und entgegne: „Ein Bier!!!“ Er lädt mich tatsächlich ein. Unfassbar. Unvergesslich. Ein Bier für mich, seinen 14- oder 15-Jährigen. Da bin ich mir nicht sicher. Doch sicher ist: Ich kriege eine Halbe auf die Theke gestellt. Wir zwei stoßen an und ich denk‘, ich träum‘. Premiere. Ein väterliches Weltwunder.

Der Hass auf alle Ungerechtigkeiten macht ihn krank. Er, der seine Werte lebt – auch die harten Seiten wie Gehorsam, Zucht und Ordnung. Zu ihr zählen Hausarrest bis … (zensiert). Oder nennen wir es „Die harte Hand“. Menschen, die andere aus- und benutzen, die stets auf ihren ureigenen Vorteil aus sind, die betrügen und lügen, all die hat Vater gefressen. Unrecht im Kleinen und im Großen, für ihn ein rotes Tuch. Er ist so korrekt, dass er zwei Pfennige, die er bei einem Vereinsfest auf dem Boden findet, genau so ins Kassenbuch schreibt, als zwei gefundene Pfennige. Und im Dorf gibt es einige, die gern Leute übern Tisch ziehen. Beim Kauf & Verkauf, zum Beispiel. Nicht Vater. Sein Hass auf sie & Co. frisst ihn jedoch auf.

Sein Hass auf sich selbst, auf die scheinheilige Kirche, der er lange selbstlos diente, doch Gott & Co. haben ihn in seinen Augen verlassen, auf viele Mitmenschen, Lug und Trug und dann sein Lebensende: die Krönung – sein Schicksal. Er wird krank. Sehr krank, dauerhaft. Magenprobleme, und, und, und. Irgendwann wird er bei der DB, da er auf dem Stellwerk arbeitet und dort eine große Verantwortung für Menschenleben trägt, was ihm merklich zusetzt, in Frührente geschickt. Das ist für ihn ein Nacken- und Tiefschlag. Beruflich abgeschoben heißt für ihn wertlos sein. Vater hadert. Er versteht die Welt nicht mehr. Als Mann im besten Alter – um die 50 – Rentner. Ein menschliches Drama, das wir, seine Familie, besonders unsere Mutter Gabi, zu spüren bekommt, ausbaden muss. Der Mann, der Unrecht sooo sehr hasst, wird ungerecht. Als er später die Diagnose „Multiple Sklerose“ bekommt, bricht sein letzter Rest an heiler Welt zusammen.

Der Zerfall unserer Familie ist eng mit unserem Vater und seinem Leid(en) wie Tod verknüpft. Im Rollstuhl verlässt ihn endgültig sein Lebenswille. Der Tyrann wird zum Ekel. Ausnahmen bestätigen die Lage sowie meinen Blick auf seinen Ab- wie Untergang. Doch das ist eine eigene unvergessliche Geschichte. Gerhard stirbt nach langem Leiden, langer Krankheit am Donnerstag, 8. August 2019. Was sich danach unter uns drei Brüdern & Co. abspielt, ist irgendwann ein anderes, eigenes, bitteres, trauriges Kapitel. Ein andermal. Vielleicht.

Fotos / Copyright: nejako.de & unbekannt
Text: WeHe

Anmerkung zum angehängten Nachruf: Veröffentlicht im wöchentlichen Dorfblatt. Die liebe Verwandtschaft hätte mich danach am liebsten geteert & gefedert.

Unvergesslich: Ozzy lacht über Lemmy

Ozzy Osbourne

Lange hab‘ ich ihn vor mir hergeschoben. Den Start meiner Serie über unvergessliche Begegnungen, Erlebnisse, ebensolche Menschen. Teils werden „Promis“ in diesem Blog eine Rolle spielen, teils echte Abenteuer sowie Frauen und Männer, die mein (Journalisten-)Leben bereicherten und bis heute bereichern. Ja selbst Dinge. Meist sind es interessante, schöne und hoffentlich unterhaltsame Aufeinandertreffen. Doch es werden auch ein paar unschöne darunter sein. Einige beschränken sich auch „nur“ auf lange, lange Telefonate – in der Medienbranche „Phoner“ genannt. Einfach überraschen lassen.

Meine Freundin, Iris, sagt immer wieder zu mir: „Werner, schreib‘ doch ein Buch. …“ Nur zweifele ich am Erfolg wie an lukrativen Verkaufszahlen. Zudem: Dafür hab‘ ich kein Sitzfleisch. Null, für ein Buch und dessen viele, viele Kapitel. Als Reporter bin ich es gewohnt, die Dinge zügig niederzuschreiben, abzudrehen und möglichst am gleichen, spätestens am nächsten Tag zu veröffentlichen.
Im digitalen Zeitalter inzwischen ja eine Selbstverständlichkeit. Doch ich bin und bleibe Freund des Mottos „Sorgfalt vor Schnelligkeit“. Was mit echter und gründlicher Recherche, somit mit etwas Zeit(aufwand) und insbesondere einem Wahrheitsgehalt verbunden ist. Belegbar. Eins ist garantiert: Alle Erzählungen sind Erlebtes. Ich bin kein Märchenonkel, lach. Über drei Jahrzehnte Werners Berufs- & privates Leben. Alles ist wahr.

Den Start der Serie „Unvergesslich“ macht Ozzy. Eingefleischten Rock- und wahren Metalfans reicht sein unverkennbarer Spitzname. Für alle anderen der vollständige Name des Briten: John Michael „Ozzy“ Osbourne. Ältere kennen ihn als Leadsänger der legendären Band Black Sabbath. Jüngere eher dank der MTV-Familien-Serie „The Osbournes“. Vielleicht macht ihn seine Lese- und Rechtschreibschwäche zum Mann für meine Blog-Premiere hier. Oder sein ebenfalls steiniger Lebensweg zum Ruhm. Ozzy hält sich ab seinem 15. Lebensjahr mit Jobs wie Klempner, Maler und Schlachter über Wasser. Und wie meine Freundin arbeitet(e) er in einem Bestattungsinstitut. Das Geld reicht nie. Er wird zum Dieb, Einbrecher, wandert in den Knast. Später, 1969 bis 1979, ist er Kopf und Sänger von Black Sabbath.

Wegen seiner Drogenprobleme fliegt er aus der Band, damals lebt der Engländer bereits in Los Angeles. Seine Frau Sharon rettet ihm nicht nur den Arsch, dank dem Begleichen vieler Schulden, sie rettet dem Drogen- und Alkoholabhängigen (Alk, eigentlich ja auch eine Droge, grins, eine Volksdroge) das Leben. Mehrmals. Und sie schenkt ihm, der inzwischen solo Karriere macht, Sohn Jack und Tochter Kelly. Sie alle sind in den fünf TV-Staffeln ihrer Doku-Soap von 2002 bis 2005 auf MTV zu sehen. Und damit sind wir am springenden Punkt. Bei unserem Aufeinandertreffen.

4. November 2005. Ich bin mit meiner damaligen Freundin an der US-Westküste unterwegs. Wir erreichen ein Hotel inmitten des Yosemite-Nationalparks. Rechts von uns ein TV-Team und Sharon mit ihren Kindern mit Helm und in Klettermontur bei Dreharbeiten. Kein Stopp, sondern Weiterfahrt zum Parkplatz. Und da schlägt dann „Kommissar Zufall“ erneut zu. Wieder rechts von uns.

Ozzy kommt aus der Hoteltüre. Neben ihm ein Baum von Mann. Sein Bodyguard. Während Mister Black Sabbath in unsere Richtung schlurft – gehen ist das jedenfalls nicht –, isst er Kekse. Na ja, essen ist das eigentlich auch nicht. Eher der Versuch. Wie beim Krümelmonster der „Sesamstraße“ fallen fast mehr Krümel aus seinem Mund als in ihm bleiben. Die beiden Männer beachten uns nicht. Doch ich fahre nun direkt neben Ozzy und lass‘ über die Automatik die Scheibe der Fahrertür runter. Sein Beschützer wird sichtlich nervös. Jedoch habe ich den passenden Schlüssel zum Schloss: „Ozzy, hello. Grüße von Lemmy.“ Natürlich in seiner Landessprache. Pause. Total überrascht bleibt das etwas andere Krümelmonster stehen. Er gibt seinem Aufpasser das sonnenklare Signal: „Das hier gerade geht okay.“ Dann will der Rocker mit runder, dunkler Brille mehr wissen. Wir Reisende steigen aus. Meine blonde Freundin hat keine Ahnung, wem sie da gerade gegenübersteht. Sie hat null Plan – mir total egal. Aber so was von, schmunzel.

Ozzy Osbourne

„Ich war bei Lemmy daheim“, so ich. „Wir haben am Sunset inmitten L. A. die ganze Nacht geredet, getrunken und alte Videos angeschaut. …“ Dann beschreibe ich Lemmys Bruchbude um die Ecke des „Rainbow“ beim Sunset Boulevard. Oooh, Ozzy kennt sie gut. Das Mini-Appartement der Motörhead-Legende mit seinen zwei riesigen Kühlschränken voller Alk. Wir unterhalten uns über die Freundschaft der beiden irren Briten. Der Bodyguard steht entspannt daneben – meine Freundin wirkt gelangweilt. „Ozzy, Lemmy hat einen von Hand geschriebenen Brief von Dir, eingerahmt in seinem Wohnzimmer an der Wand. …. Er sagte mir voller Stolz: „… Signed with blood! …“ – unterschrieben mit Blut. Ozzy lacht laut und schallend los. Krümel schießen aus seinem Mund. Als er sich gefangen hat, entgegnet er mit rauchiger Stimme. Er hat offenbar heute wohl noch nicht viel gesprochen. „It‘s only red colour! …“ – Es ist nur rote Farbe. Tja, wer hätte das gedacht. Ich werde Lemmy das nicht erzählen. Habe es bei keinem unserer Treffen jemals erwähnt, ihm das niemals erzählt. Lemmy nahm seine liebenswerte Geschichte und seinen Stolz mit ins Grab. RiP, Lemmy.

Ozzy und wir stehen noch einige Minuten beisammen. Dann ist auch gut. Noch schnell zwei Fotos mit der Digitalkamera. Eins mit mir und eins mit meiner Freundin. Ozzy nimmt sie in den Arm und er legt sein schönstes Sonntagslächeln auf. Tja, der Charme, die Macht der hübschen, scharfen Blondinen. Dann gehen die zwei Männer weiter und wir machen uns ebenfalls auf den Weg durch den Nationalpark. Nette, kurze, unverhoffte, unvergessliche Parkplatzbegegnung. Aufschlussreich für Ozzy und für mich dazu, lach.

Viele, viele Jahre später sitze ich mit einem Kumpel in der Mannheimer „SAP-Arena“ und freue mich darauf, Ozzy erstmals „Live in Concert“ zu erleben. Die Vorband tritt von der Bühne. Der Umbau für den Topact zieht sich. Und zieht sich und zieht sich. Dann die böse Überraschung: Ozzys Frau Sharon wurde angeblich in Los Angeles ins Krankenhaus eingeliefert und er sei daraufhin hinter der Bühne auf Grund der schlechten Nachricht zusammengebrochen. Das Konzert fällt aus. Große, große Sch…ße. Ich hatte mich auf diesen Auftritt sooo gefreut. Zumal das Konzert in Dortmund kurz zuvor der absolute Hammer gewesen sein muss: Ozzy in Bestform. Und nun: Satz mit x. Vor uns stehen zwei Fans auf und einer von beiden meint: „Das ist nun schon das sechste Mal, dass wir das erleben.“ Ihr Topact, Ozzy, er fällt aus.

Zeitsprung ins Hier & Jetzt: Vor wenigen Tagen kam die Nachricht, Ozzy wolle, da er auf Grund seiner Gesundheit nicht mehr reisen könne oder wolle, nie mehr eine Konzerttournee starten. Tja, einmal hab‘ ich ihn wenigstens live erlebt: im Yosemite-Nationalpark, 4. November 2005. Danke, „Kommissar Zufall“. Thanks Ozzy. Very much.

Fotos / Copyright: nejako.de
Text: WeHe